Die Vermessung der Liebe - Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen by Gottman John

Autor:Gottman, John [Gottman, John & Silver, Nan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-28T16:00:00+00:00

Wie sich der erste Teil eines »Meetings zur Lage der Nation« anhört

Wenn Sie die Abstimmungsfertigkeiten während eines strukturierten Meetings umsetzen, hört sich das nicht wie eine »normale« Unterhaltung an. Das tut dem Nutzen dieser Interaktion jedoch keinen Abbruch. Mercedes und Oscar, ein Paar mittleren Alters, das mit ernsten Eheproblemen zu kämpfen hatte, lernte den Sprecher-Zuhörer-Ansatz im Rahmen meiner Studie mit 100 Paaren. Ihre Ehe begann erste Abnutzungserscheinungen zu zeigen, als Mercedes mit Mitte 40 nochmal einen beruflichen Neuanfang wagte und Anwältin wurde. Daraufhin fühlte Oscar sich vernachlässigt, und die Spannungen zwischen den Eheleuten nahmen extrem zu. In der Vergangenheit hatten sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden Partner – seine ruhige, reservierte Art und ihre Lebhaftigkeit – hervorragend ergänzt. Sie hatten die beiden Eheleute zu einem starken Gespann gemacht, das den Kindern – einer Tochter Anfang 20 (Lydia) und einem autistischen Sohn im Teenageralter (Jack) – großen Halt gegeben hatte. Aber ihre gegenwärtigen Probleme stellen die Familie vor eine Zerreißprobe: Mercedes glaubt, Oscar hetze die Tochter gegen sie auf und spiele seinen eigenen Beitrag zu der Ehekrise herunter. Außerdem hat sie den Eindruck, dass Oscar sie vor seiner Familie schlecht macht und sie seinen Eltern und Geschwistern auf diese Weise entfremdet. Oscar sieht das eigentliche Problem dagegen darin begründet, dass Mercedes nicht genügend Zeit für ihre Tochter hat, und diese sich im Schatten ihrer erfolgreichen, dynamischen Mutter verunsichert fühlt.

Das Meeting von Mercedes und Oscar dreht sich darum, wie sie die Verletzungen innerhalb der Familie heilen können. Oscar möchte, dass Mercedes auf Lydia zugeht und sie mehr unterstützt. Mercedes legt dagegen Wert darauf, dass Oscar Lydia und die anderen Familienmitglieder wissen lässt, dass sie nicht »die Böse« ist. Aber bevor sie zu einer Einigung gelangen können, müssen sie sich den Standpunkt des Partners anhören. Das Gespräch lief folgendermaßen ab [meine Kommentare stehen in Klammern].

Mercedes: Ich bin wirklich traurig über die Sache mit Lydia, und ich bin sehr frustriert. Ich wünschte, du würdest mir dabei helfen. [Verwandelt Kritik in einen Wunsch]

Oscar: (Schweigt)

Mercedes: Ich bin einfach nur traurig darüber. Ich bin wirklich kurz davor, aufzugeben. Es ist so schwierig, damit klarzukommen. [Achtsamkeit: Sie verwendet Ich-Botschaften und vermeidet so, dass Oscar sich in die Defensive gedrängt fühlt.]

Oscar: Okay, du bist traurig wegen der Kinder und du möchtest, dass ich dir helfe, stimmt’s?

Mercedes: Ja, ich möchte, dass du mit Lydia über all das hier sprichst, und auch mit den anderen in deiner Familie.

Oscar: Okay, du möchtest also, dass ich dich bei deiner Beziehung zu Lydia unterstütze, und dass ich mit den anderen in unserer Familie rede, richtig? [Verständnis: Oscar versucht noch nicht, das Problem zu lösen. Er vergewissert sich lediglich, dass er es richtig verstanden hat.]

Mercedes: Genau, aber weißt du auch, worüber du mit ihnen reden sollst?

Oscar: Nein, nicht genau.

Mercedes: Das habe ich mir gedacht. Lydia hat mich wirklich verletzt. Was sie mir alles an den Kopf geworfen hat. Und diesen Teil der Geschichte kennt niemand. Alle reden nur darüber, wie ich sie verletzt habe.

Oscar: Okay, du möchtest also, dass ich beiden Familien deine Sicht der Dinge darlege, stimmt’s?

Mercedes: Nein, nur deiner Familie.

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